Zwei Äusserungsrunden, zwei Schriftenwechsel – Die Voraussetzungen für eine dritte Chance

BGER 4A_70/2019* vom 6.8.2019 E. 2.4, 2.4.1 – 2.4.2 und E. 2.5.2

Art. 229 Abs. 1 und 2, Art. 225 - GRUNDSATZ DER «ZWEI ÄUSSERUNGSRUNDEN» – KEINE AUSNAHME JE NACH DER VORSEHBARKEIT DER VORBRINGEN IN DER ANTWORT – ANWENDUNG VON ART. 229 ABS. 1 ZPO, WENN NEUE VORBRINGEN ERSTMALS IN DER DUPLIK VORGEBRACHT WERDEN

Ob eine thematische Aufteilung der Replik zulässig ist, erscheint fraglich. (…) Eine derartige Aufteilung darf jedenfalls nicht dazu führen, dass die Klagepartei sich mehr als zweimal unbeschränkt äussert. (E. 2.4.1) Es lässt sich nicht mit der Rechtsprechung in Einklang bringen, wonach die Parteien im ordentlichen Verfahren nur zweimal unbeschränkt die Möglichkeit haben, sich zur Sache zu äussern und namentlich neue Tatsachen in den Prozess einzuführen, dass die Klägerin dreimal die Gelegenheit hat, neue Tatsachen bzw. Beweismittel vorzubringen, zweimal [das erste Mal in ihrer Klage, das zweite Mal in einer ergänzenden Replik] thematisch unbeschränkt und einmal zusätzlich [in einer ersten, thematisch beschränkten Replik] ausschliesslich zur Frage der Beständigkeit des Klagepatents. (E. 2.4.2) Es entspricht dem Wesen des (Zivil-)Prozesses, dass die Klagepartei zum Zeitpunkt der Klage – d.h. novenrechtlich zum Zeitpunkt ihrer ersten unbeschränkten Äusserungsmöglichkeit – die Entgegnungen der beklagten Partei noch nicht mit Sicherheit kennt. (…) Werden in der Klageantwort neue Behauptungen aufgestellt, führt dies nicht dazu, dass sich die klagende Partei dreimal unbeschränkt zu diesen Fragen äussern darf. (E. 2.5.2) Wenn in der Duplik Noven vorgebracht werden, welche die Klägerin ihrerseits mit unechten Noven entkräften will, so ist insofern die Voraussetzung von Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO erfüllt, dass diese Noven vor Aktenschluss trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorgebracht werden konnten. Damit der klagenden Partei dieser Sorgfaltsnachweis gelingt, ist immerhin unabdingbar, dass die Dupliknoven für diese Noveneingabe  kausal sind. Erforderlich ist einerseits, dass (erst) die Dupliknoven das Vorbringen der unechten Noven veranlasst haben, andererseits dass die unechten Noven in technischer bzw. thematischer Hinsicht als Reaktion auf die Dupliknoven aufzufassen sind.

2019-N22 Zwei Äusserungsrunden, zwei Schriftenwechsel – Die Voraussetzungen für eine dritte Chance
Bem. F. Bastons Bulletti

1 Eine Patentinhaberin reicht beim Bundespatentgericht (BPGer) gegen eine andere Gesellschaft eine Klage ein, wobei sie behauptet, die Beklagte verletze ihr Patent. In der Klageantwort macht die Beklagte geltend, dieses Patent sei nichtig. Das BPGer fordert die Klägerin auf, eine auf die Frage der Nichtigkeit des Patentes beschränkte Replik einzureichen. Es setzt eine ausschliesslich zum Versöhnungsversuch bestimmte Instruktionsverhandlung an. Nachdem dieser Versuch gescheitert ist, fordert das BPGer die Klägerin auf, ihre ergänzende, unbeschränkte Replik einzureichen. In dieser Replik bringt die Klägerin neue, sich auf die Gültigkeit des Patents beziehende Behauptungen (Einschränkung des Patentanspruches, vgl. E. 2.5.1 des Urteils) vor und ändert ihre Rechtsbegehren. Daraufhin reicht die Beklagte ihre Duplik ein, in der sie ihrerseits neue Behauptungen (nämlich das Vorlegen eines japanischen Patentes, das einen der Patentenansprüche neuheitsschädlich vorweggenommen hat, vgl. E. 2.5.1) vorbringt. Die Klägerin nimmt dazu Stellung. Nach der Hauptverhandlung fällt das BPGer einen Teilentscheid, mit dem es die Klage teilweise gutheisst; eines der Hauptbegehren wird aufgrund des japanischen Patentes abgewiesen, ein von der Klägerin in ihrer ergänzenden Replik gestelltes Eventualbegehren aber gutgeheissen. Die Beklagte gelangt mit Beschwerde ans BGer, wobei sie dem BPGer vorwirft, es habe die in der ergänzenden Replik zur Frage der Nichtigkeit des Patentes vorgebrachten Noven vorbehaltlos zugelassen. Das BGer heisst ihre Beschwerde gut. In seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil werden zwei Fragen beantwortet.

2 Die erste Frage betrifft die anerkannte (s. insb. BGE 140 III 312 E. 6.3.2.3, Anm. unter Art. 229 Abs. 1 und 2, A.1.) Regel der zwei «Äusserungsrunden»: In einem von der Verhandlungsmaxime beherrschten Prozess erhalten die Parteien je zwei Chancen, sich vorbehaltlos zu äussern – d.h. Behauptungen, Beweisofferten und Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen. Nach diesen zwei Äusserungsrunden erfolgt der Aktenschluss bzw. die Novenschranke: Fortan können die Parteien neue Vorbringen nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO (unten N 6–9) in den Prozess einbringen. Nun hatte aber das BPGer im vorliegenden Fall der Beklagten erlaubt, vorab eine auf eine Frage beschränkte Replik (zweite Äusserungsrunde der Klägerin) und dann eine ergänzende Replik einzureichen, womit es ihr formell eine dritte Äusserungsrunde zumindest in Bezug auf die Frage zugestanden hatte, die bereits Gegenstand der beschränkten Replik gewesen war. Im vorliegenden Fall ging es darum zu bestimmen, ob Besonderheiten des Verfahrens – z.B. im Bereich des Patentrechts – es rechtfertigen können, dass dem Kläger eine dritte Chance gewährt wird, vorbehaltlos neue Argumente vorzubringen. Diese Frage wird verneint.

3 Zur Begründung seines Vorgehens wies das BPGer darauf hin (vgl. E. 2.1 des Urteils), dass es seiner Praxis entspricht, nach einem ersten Schriftenwechsel eine ausschliesslich dem Schlichtungsversuch gewidmete Verhandlung anzusetzen. Nun kommt es aber in Patentverletzungsprozessen häufig vor, dass der Beklagte in seiner Klageantwort die Nichtigkeit dieses Patentes behauptet und damit eine Frage aufwirft, zu der sich der Kläger noch nicht geäussert hat. Um die diesbezügliche Ansicht des Klägers vor dem Versöhnungsversuch zu kennen, ist es sinnvoll, ihm Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Um die Waffengleichheit zu respektieren, muss die Replik jedoch auf diese Frage beschränkt werden. Scheitert der Schlichtungsversuch, nimmt das Verfahren mit einem zweiten ordentlichen, unbeschränkten Schriftenwechsel seinen Fortgang. Nach Ansicht des BPGer erlaubt nur dieses Vorgehen jeder Partei, sich zweimal zu allen umstrittenen Fragen zu äussern.

4 Das BGer teilt diese Ansicht nicht. Es weist darauf hin, dass das Vorgehen –vorausgesetzt, es sei überhaupt zulässig (s. unten N 11–11c) –, vorab eine thematisch beschränkte Replik (Aufteilung der Replik) anzuordnen, jedenfalls nicht dazu führen darf, dass sich die Klägerin mehr als zweimal vorbehaltlos äussert; nun war dies aber hier der Fall (N 2). Insb. hatte die Klägerin in ihrer Klage bereits die – wenn auch bloss theoretische – Möglichkeit, sich ein erstes Mal zur Gültigkeit des Patentes zu äussern. Die Anwendung der Regel der zwei Äusserungsrunden, die für die Rechtssicherheit eine wichtige Rolle spielt (vgl. bereits zit. BGE 140 III 312 E. 6.3.2.3), kann nicht von den Gründen abhängen, die der Kläger gehabt hätte oder nicht gehabt hätte, sich in seiner Klage mit der in der Klageantwort aufgeworfenen Frage zu befassen. Somit wird von der Regel der zwei Äusserungsrunden auch dann nicht abgewichen, wenn – was im Übrigen keine Besonderheit eines patentrechtlichen Prozesses darstellt – der Beklagte in seiner Klageantwort Argumente (wie etwa eine Verrechnungseinrede, eine Verjährungseinrede usw.) vorbringt, die der Kläger nicht vorhergesehen oder jedenfalls nicht im Voraus in seiner Klage entkräftet hat. Auch in dieser Konstellation darf dem Kläger nur noch eine (zusätzliche) Gelegenheit zustehen, auf diese Argumente – entweder in einer schriftlichen Replik oder in einer mündlichen Replik an der Instruktionsverhandlung oder zu Beginn der Hauptverhandlung – zu antworten, auch wenn sich der Beklagte seinerseits noch in seiner Duplik diesbezüglich wird äussern können. Entscheidend ist, dass auch der Kläger zweimal die Möglichkeit erhalten hat, sich zu diesen Fragen zu äussern – nämlich ein erstes Mal in der Klage, unabhängig davon, ob er dies getan hat oder nicht, und sogar unbesehen darum, ob er dies als zweckmässig hätte erachten können.

5 Die gewählte Lösung überzeugt. Wie das BGer hervorhebt, kann die effektive Anzahl der vorbehaltlosen Äusserungsrunden nicht von der Voraussehbarkeit oder nicht der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente abhängig gemacht werden. Denn der Begriff der Voraussehbarkeit ist zu unbestimmt, um Gegenstand sicherer Regeln für die Parteien zu sein, sodass es letztlich der Richter wäre, der in jedem Fall über die Anzahl von vorbehaltlosen Äusserungsrunden entscheiden würde, was die vom BGer festgelegte Regel gerade ausschliessen will. Die Lösung ist zudem für keine Partei ungünstiger als für die andere, da auch der Fall denkbar ist, dass der Kläger bis zu seiner Replik abwartet, um zum ersten Mal Argumente vorzubringen, an welche der Beklagte noch nicht gedacht hat. Diesfalls ist es letzterer, dem nur noch eine vorbehaltlose Äusserungsrunde zur Stellungnahme zusteht.

6 Die zweite Frage bezieht sich auf die sog. «Dupliknoven»: Wie verhält es sich nun, wenn der Beklagte – wozu er berechtigt ist – mit seiner zweiten und letzten unbeschränkten Äusserungsrunde, nämlich der Duplik, abwartet, um neue Vorbringen (im vorliegenden Fall das japanische Patent) einzureichen? In diesem Zeitpunkt hat der Kläger seine beiden Äusserungsrunden ausgeschöpft. Kann er noch Noven vorbringen, um sich gegen diese letzten Argumente zu wehren? Die Frage wird bejaht, aber nur unter den Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO: Die Möglichkeit, neue Mittel vorzubringen, gilt nicht mehr vorbehaltlos.

7 Die Anwendung von Art. 229 Abs. 1 ZPO steht allerdings dem Vorbringen von Noven nicht zwingend entgegen. Gemäss Art. 229 Abs. 1 lit. a ZPO stellt das Vorbringen echter Noven – d.h. nach Aktenschluss entstandener Tatsachen oder Beweismittel – kein Problem dar, vorausgesetzt, dass diese Vorbringen «ohne Verzug» erfolgen (vgl. unten N 9). Zwar ist die Rechtslage heikler wenn es um unechte Noven geht – d.h. um Tatsachen oder Beweismittel, die bereits vor dem Aktenschluss bestanden, bisher aber nicht vorgebracht worden sind: Diese sind nicht nur «ohne Verzug» vorzubringen, sondern es wird zudem gefordert, dass sie trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht werden konnten (sog entschuldbare unechte Noven, vgl. Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO). Das BGer präzisiert jedoch u.E. zu Recht, dass es bei der Beurteilung der Voraussetzung der Sorgfalt dem Kläger in der Regel nicht zugemutet werden kann, dass er in seiner Replik (d.h. bei seiner letzten Gelegenheit, seine Argumente vorbehaltlos vorzubringen) jeglichem denkbaren Vorbringen vorgreift, das der Beklagte in seiner Duplik möglicherweise vorbringen wird. Daher werden die als Reaktion auf «Dupliknoven» vorgebrachten unechten Noven in der Regel als entschuldbar erachtet, allerdings nur insoweit, als die Dupliknoven für diese Vorbringen tatsächlich kausal waren. Mit anderen Worten ist ein vom Kläger bei Bedarf nachzuweisender Kausalzusammenhang zwischen den neuen, vom Beklagten in seiner Duplik vorgebrachten Argumenten und den vom Kläger in seiner Stellungnahme zu dieser Duplik erstmals eingereichten unechten Noven erforderlich. Das Gericht muss diese Frage nach dem Kausalzusammenhang genau prüfen, was das BPGer im vorliegenden Fall unterlassen hatte, als es zu Unrecht davon ausgegangen war, der Kläger habe der Ordnung von Art. 229 Abs. 1 ZPO noch nicht unterlegen. Die Sache wurde deshalb an dieses Gericht zurückgewiesen.

8 Der vorliegende Fall wies insofern eine Besonderheit auf, als der Kläger in seiner ergänzenden Replik (wenn auch nach der für ihn eingetretenen Novenschranke, vgl. N 2–4 oben) bereits unechte Noven vorgebracht hatte, mit denen er Argumenten entkräftete, die der Beklagte erst später in seiner Duplik vorbrachte. Unter diesen Umständen hätte man Zweifel daran haben können, ob die zweiten Vorbringen für die ersten kausal waren. Allerdings präzisiert das BGer, dass der Kausalzusammenhang auch dann gegeben sein kann, wenn der Kläger das den Einschränkungen gemäss Art. 229 Abs. 1 ZPO unterliegende Novum vor dem Zeitpunkt eingereicht hatte, in dem der Beklagte formell das Argument vorbrachte, das diese Noven entkräften soll. Ahnt somit der Kläger, der seine beide Äusserungsrunden bereits ausgeschöpft hat, bereits im Voraus– z.B. infolge einer Versöhnungsverhandlung –, dass der Beklagte in seiner Duplik ein bestimmtes Argument vorbringen wird, und nimmt er dieses vorweg, indem er es sofort mit unechten Noven entkräftet, kann daraus nicht abgeleitet werden, diese Noven stünden von vornherein in keinem Kausalzusammenhang mit den Vorbringen, die den Beklagte formell erst später einreichen wird.

9 In der Regel äussert sich der Kläger indes nicht im Voraus zu den neuen, in der Duplik eingereichten Vorbringen. Diesfalls stellt sich die Frage (die das BGer nicht zu beurteilen hatte) nach der Form – Ausübung des sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ergebenden «Replikrechts» (vgl. Anm. unter Art. 53, C.), zusätzliche sog «Noveneingabe» oder Intervention zu Beginn der Hauptverhandlung – und nach dem Zeitpunkt, in dem der Kläger die echten oder unechten Noven vorbringen muss, welche die Voraussetzungen gemäss Art. 229 Abs. 1 lit. a oder b ZPO erfüllen. Art. 229 Abs. 1 ZPO ist diesbezüglich zweideutig abgefasst, weil ein Vorbringen « ohne Verzug » gefordert, gleichzeitig aber festgehalten wird, die fraglichen Noven seien « in der Hauptverhandlung » zulässig. Die Lehre ist nicht einhellig (vgl. J.-D. Schmid/Th. Hofer, Bestreitung von neuen Tatsachenbehauptungen in der schriftlichen Duplik, ZZZ 2016, S. 282 ff., 292 ff.): Gemäss einem Teil der Autoren sind diese Noven in der Hauptverhandlung stets zulässig. Andere Autoren sind der Auffassung, der Ausdruck «ohne Verzug» bedeute, dass die Partei bis zum Vorbringen der Noven nur einige Tage oder Wochen verstreichen lassen darf, was nur selten erlaubt, bis zur Hauptverhandlung zuzuwarten, und eine separate Eingabe (« Replikrecht-Eingabe » oder Noveneingabe) notwendig macht. U.E. lässt sich sowohl aus dem Grundsatz von Treu und Glauben als auch aus jenen der Waffengleichheit und der Beschleunigung das Erfordernis ableiten, dass die Partei ihre Noven so früh wie möglich vorbringt, d.h. – analog zur sehr ähnlichen Bestimmung in Art. 317 Abs. 1 ZPO betreffend die Einreichung von Noven im Berufungsverfahren – grundsätzlich und je nach den Umständen innert zehn Tagen bis zwei Wochen, sobald sie in der Lage ist, diese vorzubringen. Das sicherste Mittel besteht jedoch darin, das Gericht zu informieren und von ihm die Ansetzung einer – notfalls erstreckbaren – Frist zur Stellungnahme zu den neuen Vorbringen der Gegenpartei zu verlangen. Bei einer Weigerung kann das Vorbringen dennoch unaufgefordert und « ohne Verzug » vorgenommen werden, es sei denn, dass Gericht würde die Partei auffordern, damit bis zum Beginn der Haupt- oder einer Instruktionsverhandlung zu warten.

10 Somit ergibt sich aus dem Urteil, dass, obwohl die Regel der zwei Äusserungsrunden strikt anwendbar bleibt, die nach diesen zwei Runden gemäss Art. 229 Abs. 1 ZPO eintretende Novenschranke dem nachträglichen Vorbringen von Noven insofern praktisch kaum entgegensteht, als diese Noven «Dupliknoven» entkräften sollen. Diese Lösung, die an einer klaren und vorhersehbaren Regel festhält, gleichzeitig aber eine im Ergebnis eher grosszügige Beurteilung der Voraussetzungen erlaubt, unter denen das spätere Vorbringen von Noven nach Art. 229 Abs. 1 ZPO zulässig ist, ist u.E. zu begrüssen.

11 Im Urteil wird ebenfalls eine Frage in Bezug auf die Prozessleitung und den Schriftenwechsel aufgeworfen, aber nicht beantwortet. Vorab wird festgehalten (E. 2.3.2), dass sich die vom Gericht angeordnete thematische Aufteilung der Replik (N 4 oben) von einer in Art. 125 lit. a ZPO vorgesehenen Beschränkung des Verfahrens unterscheidet. Im zweitgenannten Fall bezieht sich das Verfahren vorab nur auf eine oder mehrere bestimmte Fragen, über welche mit einem End-, Teil- oder Zwischenentscheid (zu diesen Begriffen und zu deren Unterscheidung vgl. Anm. unter Art. 236 Abs. 1, B.; auch BSK ZPO-Willisegger Art. 222 N 35–37) entschieden werden wird. Diesfalls wird der Grundsatz der zwei Äusserungsrunden gemäss Art. 229 Abs. 2 ZPO zweiphasig angewendet, d.h. zuerst auf die vorab behandelten Fragen, und anschliessend auf die weiteren Fragen. Im vorliegenden Fall wurde jedoch keine derartige Beschränkung des Verfahrens angeordnet, da nur die Replik in einem ersten Schritt beschränkt wurde. Immerhin scheint uns, dass sich die vom BGer in der Folge erwähnten Zweifel an der Zulässigkeit dieser thematischen Aufteilung nicht zwingend rechtfertigen lassen.

11a Wie das BGer darlegt, wird gemäss Art. 229 ZPO zwar ausgeschlossen, dass vorab eine beschränkte Replik und sodann eine uneingeschränkte Replik angeordnet wird. Hingegen scheint es uns nicht gegen Art. 229 ZPO zu verstossen, wenn nacheinander zwei auf unterschiedliche Fragen beschränkte Repliken angeordnet werden. Wäre im vorliegenden Fall die «ergänzende» Replik des Klägers auf den Rest der in der «eingeschränkten» Replik nicht behandelten Fragen (nämlich auf die Frage der Patentenverletzung, ohne dass auf die Frage der Nichtigkeit erneut vorbehaltlos eingegangen werden kann) begrenzt worden, ist nicht einzusehen, inwiefern die Regel der zwei Äusserungsrunden verletzt worden wäre – ebenso wenig wie im Fall, in dem der Richter eine Beschränkung des Verfahrens angeordnet hat (s. N 10).

11b Zwar ist eine derartige Aufteilung der Replik im Gesetz nicht vorgesehen. Art. 225 ZPO enthält für die Klageantwort keine zu Art. 222 Abs. 3 ZPO analoge Bestimmung. Dies bedeutet an sich nicht, dass das Vorgehen verboten wäre. Einerseits scheint sich die vom BGer erwähnte Lehre, die sich gegen eine Beschränkung der Replik ausspricht, nicht auf den Fall einer Aufteilung zu beziehen, sondern auf jenen, in dem der Kläger nur zu einer auf gewisse Punkte beschränkten Replik aufgefordert wird, wobei ihm dieses Recht im Übrigen – nicht nur vorläufig – verweigert wird (vgl. BSK ZPO-Willisegger Art. 225 N 11 ; vgl. jedoch CR CPC-Tappy Art. 225 N 5, der eine sinngemässe Anwendung von Art. 222 Abs. 3 ZPO für zulässig erachtet, wobei die Beschränkung für die Parteien jedoch nicht zwingend sei). Andererseits liegt die Prozessleitung im Ermessen des erstinstanzlichen Richters, wobei die in Art. 125 ZPO vorgesehenen Vereinfachungen nicht abschliessend («insbesondere») aufgelistet werden. Daher könnte eine entsprechende Anordnung u.E. einzig bei Unzweckmässigkeit sanktioniert werden.

11c Die Aufteilung vereinfacht das Verfahren nicht in offensichtlicher Weise, weil dieses Vorgehen dazu führt, die Replik – zumindest beim Scheitern des zwischenzeitlich durchgeführten Schlichtungsversuches – in zwei sukzessive Eingaben aufzuspalten. Dennoch kann es sinnvoll sein, vor dem Schlichtungsversuch den Standpunkt beider Parteien in Bezug auf alle diskutierten Fragen, insb. auf eine zum ersten Mal in der Klageantwort aufgeworfene Frage (nämlich in casu die Frage nach der Gültigkeit des Patents), zu kennen, ohne den Kläger indessen zu zwingen, eine vollständige, sich auch auf bereits in der Klage behandelte Fragen (im vorliegenden Fall die Patentenverletzung) beziehende Replik einzureichen – was unter dem Blickwinkel der Waffengleichheit implizieren würde, diesfalls auch die Duplik des Beklagten vor der Schlichtungsverhandlung einzuholen. Zwar bleibt eine derartige Verhandlung auch nach einem zweiten vollständigen Schriftenwechsel möglich; allerdings zeigt die Erfahrung, dass je mehr Aufwand und Kosten den Parteien entstanden ist, desto schwerer es ihnen fallen wird, den Rechtsstreit – auf dem die Kostenfrage schwer lastet – durch einen Vergleich zu erledigen. Somit erscheint uns das Vorgehen nicht ausgeschlossen, unter Vorbehalt des Falles, in dem die in der Klage aufgeworfene und die in der Klageantwort gestellte Frage derart miteinander verknüpft sind, dass es nicht möglich ist, sich zur einen zu äussern, ohne auf die andere einzugehen. Wie dem auch sei; der Richter, der gestützt auf Art. 125 lit. a ZPO eine Beschränkung des Verfahrens anordnet, kann sich mit der gleichen Schwierigkeit konfrontiert sehen. Gleichwohl schliesst die ZPO eine Beschränkung des Verfahrens dem Grundsatz nach nicht aus.

Zitationsvorschlag:
F. Bastons Bulletti in Newsletter ZPO Online 2019-N22, Rz…

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